Theoretische Grundlagen
Ziel dieses Versuches ist es, Informationen über das Siedeverhalten eines Reinstoffes zu gewinnen.
Phasengleichgewichte von Einkomponentensystemen
Dazu wird das thermodynamische Gleichgewicht eines Systems betrachtet,
dass aus einer Komponente (also einem Reinstoff) besteht. Man spricht
davon, dass das System siedet
, wenn in dem System eine flüssige
Phase und eine gasförmige Phase nebeneinander vorliegen. Im
thermodynamischen Gleichgewicht ist der Druck, die Temperatur und das
chemische Potential des Reinstoffes in jeder Phase gleich. Die
Temperatur wird Siedetemperatur T_\text b
genannt.
Das chemische Potential des Reinstoffes \mu^\text l und \mu^\text g in der flüssigen und der gasförmigen Phase des Systems entspricht der molaren freien Enthalpie G_\text m^\text l und G_\text m^\text g.
Das totale Differential der molaren freien Enthalpie lautet
Dabei ist V_\text{m}^\text l und V_\text{m}^\text g das molare Volumen und S_{\text m}^\text l und S_{\text m}^\text g die molare Entropie der flüssigen und gasförmigen Phase.
Aus den Gleichungen , und folgt, dass im thermodynamischen Gleichgewicht
gelten muss. Die Differenz zwischen der molaren Entropie der flüssigen Phase und der molaren Entropie der gasförmigen Phase wird molare Verdampfungsentropie \Delta_\text{vap}S_\text{m} genannt. Die Differenz zwischen dem molaren Volumen der flüssigen Phase und dem molaren Volumen der gasförmigen Phase wird molares Verdampfungsvolumen \Delta_\text{vap}V_\text{m} genannt.
Dampfdruckkurve
Aus der Definition der molaren freien Enthalpie G_\text m = H_\text m-S_\text mT folgt
Da im thermodynamischen Gleichgewicht die molare freie Enthalpie jeder Phase gleich ist, folgt durch Bildung der Differenz zwischen Gleichung und Gleichung
Die Differenz zwischen der molaren Enthalpie der flüssigen Phase und der molaren Enthalpie der gasförmigen Phase wird molare Verdampfungsenthalpie \Delta_\text{vap}H_\text{m} genannt.
Damit lässt sich die molare Verdampfungsentropie durch die molare Verdampfungsenthalpie ausdrücken.
Das molare Volumen der gasförmigen Phase ist in der Regel wesentlich größer als das molare Volumen der flüssigen Phase.
Das molare Volumen der gasförmigen Phase kann mithilfe der idealen Gasgleichung näherungsweise bestimmt werden.
Die universelle Gaskonstante ist R=8.314 \text J / (\text{mol} \text K) . Setzt man Gleichungen , und in Gleichung ein, wird der Ausdruck
erhalten. Diese Differentialgleichung lässt sich durch Integration lösen, wenn näherungsweise angenommen wird, dass die molare Verdampfungsenthalpie unabhängig von der Temperatur ist. Die unteren Integrationsgrenzen geben einen Druck p^\text{ref} an, bei dem der Reinstoff bei einer Temperatur T_\text b^\text{ref} siedet.
Zur interaktiven Visualisierung der Augustschen Dampfdruckformel
Gleichung wird
Augustsche Dampfdruckformel
genannt. Sie beschreibt die
Abhängigkeit des Dampfdruckes p
eines Reinstoffes von der Temperatur T_\text b. Eine Auftragung des Dampfdruckes p
gegen die Siedetemperatur T_\text b
wird Dampfdruckkurve
genannt.
Die Pictet-Troutonsche Regel
Die Pictet-Troutonsche Regel besagt, dass die Verdampfungsentropie der meisten Flüssigkeiten ungefähr gleich ist . Der Zusammenhang wurde ungefähr 1900 von dem Physiker Trouton entdeckt, in dem er feststellte, dass der Quotient aus Verdampfungsenthalpie und Siedetemperatur (Gleichung ) oft ungefähr 88 J / (mol K) beträgt. Die Siedetemperatur bezieht sich hierbei auf einen Druck von 1013 hPa. Es gilt also
Die Pictet-Troutonsche Regel besagt damit, dass sich die Ordnung der Moleküle beim Phasenübergang von flüssig zu gasförmig unabhängig von den Molekülen um einen ähnlichen Betrag verändert. Große Abweichungen von der Troutonschen Regel können bei Flüssigkeiten aus polaren Molekülen, in denen sich beispielsweise Wasserstoffbrückenbindungen ausbilden, beobachtet werden.
Versuchsaufbau
Die Apparatur besteht aus einem Dreimantelgefäß mit abnehmbarem Thermofühler und angeschlossenem Manometer. Das innere Gefäß enthält die zu untersuchende Flüssigkeit und ist von einem Temperiermantel umgeben. Die Temperierung erfolgt durch einen Thermostaten. Der Temperiermantel ist nochmals von einem Vakuummantel umgeben, um eine Kondensation von Wasser aus der Luft zu vermeiden. Eine Membranpumpe mit Woulfscher Flasche dient dazu, den mit gasförmiger Substanz gefüllten Teil der Apparatur von Luft zu befreien und den Druck innerhalb der Apparatur auf den Dampfdruck des Lösungsmittels zu reduzieren.
Durchführung
Tutorial zur virtuellen Durchführung
Zur virtuellen DurchführungVideoanleitung zum Laborversuch
Vorbereitung
- Stellen Sie den Kryostaten auf eine Celsiustemperatur von 15 ℃ ein.
- Kontrollieren Sie, ob sich ein Rührfisch in dem Dreimantelgefäß befindet.
- Schalten Sie das Thermometer und das Manometer ein.
Messung
Dampfdruck von Aceton
- Befüllen Sie die Apparatur über die obere Schliffhülse mithilfe der entsprechenden Spritze bis zur Markierung mit Aceton.
- Schließen Sie die Apparatur mit dem Thermofühler und schalten Sie den Magnetrührer ein.
-
Sobald die Temperatur der Flüssigkeit in der Apparatur einen
konstanten Wert angenommen hat, muss die gesamte Luft im Gasraum der
Apparatur mit Dampf der zu untersuchenden Flüssigkeit ersetzt
werden:
- Schließen Sie beide Hähne und schalten Sie die Pumpe an.
- Öffnen sie langsam den Dampfhahn. Schließen Sie den Dampfhahn, sobald die Flüssigkeit in der Apparatur siedet und warten Sie ungefähr 10 s.
- Wiederholen Sie Schritt b) dreimal.
- Schließen Sie die Apparatur, in dem Sie den Dampfhahn fest zudrehen. Öffnen Sie den Lufthahn und lassen Sie ungefähr eine Minute lang Luft durch die Pumpe saugen. Damit werden kondensierte Flüssigkeitsreste in der Pumpe entfernt. Schalten Sie die Pumpe anschließend aus und lassen Sie den Lufthahn geöffnet.
- Starten Sie die Messung, in dem Sie den Kryostaten auf eine Celsiustemperatur von 35 ℃ einstellen. Notieren Sie in 10 s-Intervallen den Druck und die Celsiustemperatur. Wichtig ist die gleichzeitige Aufnahme des Druck- und Celsiustemperaturwertes. Unerheblich ist dagegen die exakte Zeitdifferenz zwischen den Messungen.
- Nach der Aufnahme der Messwerte wird die Apparatur am Dampfhahn belüftet und die Flüssigkeit in der Apparatur mithilfe der Spritze in das Vorratsgefäß zurück überführt. Warten Sie ungefähr eine Minute, bis die Acetonreste vollständig verdampft sind.
Dampfdruck von Ethanol
-
Stellen Sie den Kryostaten auf eine Celsiustemperatur von 35 ℃ ein.
-
Gehen Sie analog zu der Messung von Aceton vor. Achten Sie darauf, dass Sie die entsprechend beschriftete Spritze verwenden. Stellen Sie beim Start der Messung den Kryostaten auf eine Celsiustemperatur von 55 ℃.
-
Überführen Sie am Ende die Flüssigkeit im Dreimantelgefäß mit der Spritze in das Vorratsgefäß.
Versuchsende
Schalten Sie die obere und untere Einheit des Kryostats, Magnetrührer, Thermometer und Manometer aus. Lassen Sie das Dreimantelgefäß offen, damit Flüssigkeitsreste abdampfen können. Spülen Sie nicht mit Wasser.
Auswertung
Werten Sie die aus der Dampfdruckmessung von Aceton und Ethanol erhaltenen Messwerte gemäß der folgenden Schritte aus:
-
Tragen Sie für Aceton und Ethanol den gemessenen Druck p gegen die Siedetemperatur T_\text{b} in einem Diagramm gegeneinander auf und diskutieren Sie den Verlauf.
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Tragen Sie für Aceton und Ethanol entsprechend Gleichung den Term \ln{\left(\frac{p}{p^\text{ref}}\right)} gegen die reziproke Siedetemperatur \frac{1}{T_\text b} in einem Diagramm auf. Wählen Sie als Referenzdruck p^\text{ref} den Normaldruck von 1013,25 hPa. Bestimmen Sie die molare Verdampfungsenthalpie \Delta_\text{vap} H_\text{m} und die Siedetemperatur T_\text{b}^\text{ref} bei Normaldruck.
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Bestimmen Sie aus der Siedetemperatur bei Normaldruck und der molaren Verdampfungsenthalpie mit Gleichung die molare Verdampfungsentropie \Delta_\text{vap} S_\text{m} und prüfen Sie, ob die Troutonsche Regel erfüllt ist. Berechnen Sie zusätzlich mit Hilfe der angegebenen Literaturwerte einen theoretischen Wert für die Verdampfungsentropie \Delta_\text{vap} S_\text{m}.
Vorbereitung auf das Kolloquium
Das Kolloquium beinhaltet zwei Themen. In beiden Themen wird vorausgesetzt, dass von den besprochenen Größen die physikalische Bedeutung, die Einheit und die Berechnung des zugehörigen Fehlers bekannt sind.
Erstes Thema: Erläutern Sie Versuchsziele, Versuchsdurchführung, verwendete Apparaturen und gemessene Größen.
Zweites Thema:
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Leiten Sie die Augustsche Dampfdruckformel ausgehend von der molaren freien Enthalpie der beiden Phasen Flüssigkeit und Dampf her. Geben Sie alle Näherungen an.
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Wie wird die Verdampfungsentropie aus den Messdaten ermittelt. Welche Werte erwarten Sie nach der Troutonschen Regel für Ethanol und Aceton?