Zusammenfassung
In diesem Versuch benutzen Sie ein Doppelspalt-Rotationsviskometer, um abhängig von der Scherrate die Viskosität, d.h. das Fließverhalten, verschiedener Proben zu untersuchen. Diese reichen von reinem Wasser über verdünnte wässrige Lösungen von Zucker bis zu konzentrierteren wässrigen Lösungen des Biopolymers Xanthan. Die Experimente liefern somit ein Beispiel für die Anwendung von Viskositätsmessungen in der physikalischen Chemie: so kann man beispielsweise den Hydratisierungsgrad von Zucker in wässriger Lösung, oder den Quellungsgrad von Polymeren in Abhängigkeit von der Lösemittelgüte und der mechanischen Beanspruchung, quantifizieren.
Lernziele:
- Durchführung von einfachen rheologischen Messungen an niederviskosen Proben
- Auswertung von Viskositätsmessungen im Hinblick auf die Struktur gelöster Substratmoleküle
- Verständnis der Ursachen für strukturviskoses Verhalten
Theoretische Grundlagen
Begriff der Viskosität
Unter Viskosität versteht man laut „Duden“ die Zähigkeit oder innere Reibung von Flüssigkeiten und Gasen. Eine quantitative Definition hingegen ist auf zwei Arten möglich. So ist die Viskosität zum einen reziprok zur Diffusion, die entsprechende Verknüpfung liefert die Stokes-Einstein-Gleichung, die die Diffusion (also die Brownsche Bewegung) eines Teilchens in hochverdünnten Dispersionen beschreibt:
Dabei ist D_\text s der Selbstdiffusionskoeffizient des Brownschen Teilchens, kT die thermische Energie (“Antrieb der Diffusion“), \eta die Viskosität des Mediums, verursacht Reibung (bremst die Diffusion) und R_\text H der hydrodynamische Radius des Brownschen Teilchens
Die zweite Möglichkeit ist die makroskopische Betrachtung der Viskosität als Transportkoeffizient des Impulses. Allgemein gilt für den Transport oder Fluss einer beliebigen physikalischen Größe in einer Richtung x:
Hier ist J die Flussdichte, N_\varphi die Quantität der Flussdichte \varphi, A der Flussquerschnitt, C der Transportkoeffizient und \frac{\mathrm d\varphi}{\mathrm dx} der räumliche Gradient der Flussgröße (also eine verallgemeinerte Kraft).
Konkrete Beispiele hierfür sind:
Das Newtonsche Gesetz des Impulsflusses liefert somit eine quantitative Definition der Viskosität. Seine Bedeutung wird im Modell der laminaren Strömung veranschaulicht: wir betrachten die Bewegung eines starren Körpers der Fläche A auf einem Flüssigkeitsfilm der Dicke z mit konstanter Geschwindigkeit. Daher muss gelten: Zugkraft = Reibungskraft, also F = R. Entsprechend dem Newtonschen Gesetz entspricht diese Reibungskraft/Fläche direkt der Impulsflussdichte, und ist ihrerseits proportional zur Viskosität des fluiden Mediums sowie zum Geschwindigkeitsgradienten:
Die Einheit der Viskosität beträgt somit Pa s.
Experimentelle Verfahren zur Viskositätsbestimmung
Kapillarviskometer
Das Messprinzip bei der Kapillarviskometrie ist die Bestimmung der Zeit, die ein definiertes Probenvolumen zum Durchströmen der Kapillare benötigt. Für eine konstante Strömungsgeschwindigkeit muss der Antrieb des Fließens, d.h. die aus der hydrostatischen Druckdifferenz resultierende Kraft, gleich der Reibungskraft sein. In der Kapillare stellt sich durch Reibung des strömenden Fluid mit der Kapillarwand ein parabolisches Geschwindigkeitsprofil ein:
Hierbei ist R der Radius der Kapillar, und r der Abstand vom Zentrum. Für den gesamten Volumenstrom \dot V erhält man aus dem Geschwindigkeitsprofil v(r) durch Integration über konzentrische Strömungszylinder das Hagen-Poisseuille-Gesetz
Kugelfall-Viskometer
Eine kugelförmige Sonde sinkt hierbei durch die fluide Probe mit konstanter Geschwindigkeit v. Dann müssen Reibungskraft + Auftrieb gleich der Gravitationskraft sein, d.h.:
Hierbei ist R der Kugelradius, \rho die Dichte des Fluids, und \rho_\text K die Dichte der Kugel. Auflösen dieser Gleichung nach der Messgröße Sinkgeschwindigkeit ergibt:
Diese Methode ist in dieser Form nur auf hochviskose Flüssigkeiten anzuwenden, da sonst die Reibungskraft zu gering ist um eine konstante Sinkgeschwindigkeit zu erreichen. Hier hilft eine Modifizierung des Aufbaus, die Neigung des Fallzylinders, und man erhält ein sogenanntes Kugelroll-Viskometer, welches sogar für Viskositätsmessungen an Gasen geeignet ist.
Doppelspalt-Rotationsviskosimeter
Das Doppelspalt-Rotationsviskosimeter beruht auf dem Modell der laminaren Strömung (s.Abb.1), wobei dieses allerdings, aus praktischen Gründen, auf eine periodische Bewegung, d.h. Zylindergeometrie, übertragen wird: es erfolgt die Drehung eines Hohlzylinders, in einem mit dem zu vermessenden Fluid gefüllten Becher, mit konstanter Geschwindigkeit. Misst man die hierfür benötigte Kraft, so ergibt sich daraus direkt die Viskosität. Wichtige experimentelle Parameter sind hierbei:
- Durchmesser des Hohlzylinders: 2R
- Reibungsfläche: A = 2\cdot 2\pi R\cdot H
- Schichtdicke: D
- Umdrehungsrate: U
- Winkelgeschwindigkeit: \omega = 2\pi U
- Drehgeschwindigkeit: v = \omega R
Hieraus ergibt sich für den linearen Geschwindigkeitsgradient:
Die Newtonsche Gleichung nimmt für diese Geometrie somit folgende Form an:
mit der Drehkraft \tau(\omega), der Scherspannung \sigma(\omega) = \tau(\omega)/A, und der Scherrate \dot \gamma = \omega R / D.
Viskosität von Lösungen
Für verdünnte Lösungen und Suspensionen (Praktikum: Wasser/Zucker, bzw. Wasser/Xanthan) lässt sich die Viskosität über die ersten Glieder einer Taylorentwicklung als linearer Anstieg in Abhängigkeit von der Substrat-Einwaagekonzentration c, bzw. vom Substratvolumenbruch \varphi, formulieren:
mit \eta_0 der Viskosität des reinen Lösemittels, und [\eta]=\lim_{c\rightarrow 0}\frac{\eta(c)-\eta_0}{c\eta_0} der intrinsischen Viskosität oder Staudinger-Index.
Gleichsetzen dieser beiden linearen Beziehungen erlaubt beispielsweise im Falle verdünnter wässriger Zuckerlösungen die Bestimmung des Hydratationsgrades der Zuckermoleküle:
mit \rho = c/\varphi=(m_\text{tr}/V)/(V_\text s/V) der formalen Teilchendichte in Lösung, m_\text{tr} der Einwaagemasse der gelösten Teilchen (d.h. im “trockenen Zustand“), V_\text s dem effektiven Volumen aller gelösten Teilchen. Letzteres setzt sich zusammen aus dem “Trockenvolumen” der Teilchen plus dem Volumen des Hydratwassers, somit gilt:
mit \rho_\text{tr} der Trockendichte der gelösten Partikel. Somit ergibt V_\ce{H2O}/m_\text{tr} (Einheiten beachten!) das Volumen des Hydratwassers pro Gramm Zucker.
Der Hydratationsgrad ist definiert als Anzahl der assoziierten Wassermoleküle pro gelöstem Substrat-Molekül oder Teilchen und wird entsprechend der obigen Gleichungen experimentell aus der intrinsischen Viskosität und der entsprechenden formalen Dichte bestimmt.
Anmerkung: Die Dichte von Wasser ist 1 g/ml, die molare Masse ist 18 g/mol, die Dichte von Zucker im trockenen Zustand ist \rho_\text{tr} = \pu{1562 g/l}, die molare Masse von Zucker ist M_\text{tr} = \pu{342 g/mol}.
Strukturviskoses Verhalten
Unter strukturviskosem Verhalten versteht man das Phänomen, dass sich die Viskosität einer Probe in Abhängigkeit vom Geschwindigkeitsgradienten (bzw. der Scherrate), oder in Abhängigkeit von der zeitlichen Dauer einer Viskositätsmessung, verändert. Man unterscheidet entsprechend 3 prinzipielle Möglichkeiten der Variation der Viskosität mir der Scherrate (s.Abb.4), bzw. mit der Dauer der Messung (s.Abb. 5):
Mögliche Ursachen für strukturviskoses Verhalten kann eine Veränderung der Partikelanordnung im Raum, oder eine Veränderung von Gestalt und Größe der einzelnen gelösten Partikel (s. folgende Abbildung) sein.
Versuchsaufbau
Das im Praktikum benutzte Doppelspalt-Rotationsviskosimeter beruht wie bereits in Kapitel 1.2. beschrieben auf dem Modell der laminaren Strömung (s.Abb.1) in Zylindergeometrie. Die wichtigen experimentellen Parameter sollen an dieser Stelle nochmals angegeben werden:
- Durchmesser des Hohlzylinders: 2R
- Reibungsfläche: A = 2\cdot 2\pi R\cdot H
- Schichtdicke: D
- Umdrehungsrate: U
- Winkelgeschwindigkeit: \omega = 2\pi U
- Drehgeschwindigkeit: v = \omega R
Die Newtonsche Gleichung nimmt für diese Geometrie folgende Form an:
Vorgehen
Alle Messungen erfolgen über eine identische Messdauer von 20 Sekunden.
- Vermessen Sie reines Wasser bei den Drehzahlen 25, 50, 75 und 100 U/min.
- Vermessen Sie wässrige Zuckerlösungen (c_\text{Saccharose} = 6, 8 und 10 wt%) bei einer geeigneten Drehzahl (siehe (1)). Hinweis: Saccharose, M = \pu{342 g/mol}, \rho_\text{tr} = \pu{1562 g/l}
-
Vermessen Sie verdünnte wässrige Xanthan-Lösungen (Stammlösung c =
1.5 g/L) wie folgt:
- Stammlösung (c = \pu{1.5 g/L})
- c = \pu{1 g/L}
- c = \pu{0.5 g/L}
Wichtig: Achten Sie jeweils auf gute Durchmischung. Rühren Sie hierbei nicht zu stark und fassen Sie die Probengläser auch nicht unnötig an, um die Probe nicht unkontrolliert zu erwärmen.
Auswertung
- Vergleichen Sie Ihr Ergebnis mit dem Literaturwert, und diskutieren Sie mögliche Abweichungen.
- Berechnen Sie jeweils den Staudingerindex und aus diesem den Hydratationsgrad, d.h. die Anzahl an assoziierten Wassermolekülen pro Zuckermolekül.
- Berechnen Sie den Staudingerindex aus den jeweils gemessenen Viskositäten (bei der kleinsten Scherrate!), und aus diesem die formale Dichte des Xanthans in Lösung. Vergleichen Sie diese mit der typischen Trockendichte von Polymeren (= 1 kg/L), und diskutieren Sie alle Ihre Ergebnisse unter dem Aspekt strukturviskosen Verhaltens!
Fragen zur Vorbereitung
- Was versteht man unter Viskosität?
- Wie kann man Viskosität messen?
- Wie wirkt sich eine Erhöhung der Temperatur auf die Viskosität von Gasen bzw. Flüssigkeiten aus?
- Welche Bedeutung hat der Staudinger-Index?
- Was versteht man unter Strukturviskosität? Nennen Sie mögliche Ursachen für strukturviskoses Verhalten (mit Beispielen).
Literatur
- P. Atkins, Physikalische Chemie